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Kein Geld trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - die Auswirkungen der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Christiane Ordemann • Mai 08, 2024

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21

Seitdem das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 (5 AZR 149 / 21) veröffentlicht wurde, nehmen die Fälle zu, in denen Arbeitgeber trotz Vorlage bzw. Abruf einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Krankheitstage von Mitarbeitern nicht vergüten. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Ein Arbeitnehmer hatte selbst gekündigt und für den gesamten Zeitraum der Kündigungsfrist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Dieser Zusammenhang erschütterte nach Auffassung des Gerichts den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Folge, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit beweisen musste.

Da eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt, sollte dies im Regelfall kein Problem sein, da der Arbeitnehmer den Arzt von seiner Schweigepflicht entbinden kann. Im Regelfall ist nicht damit zu rechnen, dass der Arzt entgegen der selbst ausgestellten Bescheinigung als Zeuge die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht bestätigt. Dennoch scheint es für Arbeitgeber attraktiv zu sein, den Arbeitnehmer in die Rolle zu drängen, dass er seine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in derartigen Fällen notfalls einklagen muss.

Diese Rechtsprechung erfährt durch ein Urteil des LAG Köln (vom 10.08.2023, 6 Sa 682/22) eine gewisse Einschränkung. Eine derartige Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt danach nicht in Betracht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit und seine Erkrankung plausibel darlegen kann. Im Falle des LAG Köln ging es um eine Mitarbeiterin, die seit mehreren Jahren an einer psychischen Belastungsstörung litt. Ein Personalgespräch löste bei der Arbeitnehmerin erneute psychische Probleme aus, so dass sie ihre Sachen aus dem Büro mitnahm, ihr Diensthandy abgab und sich gegenüber den Kollegen dahingehend äußerte, sich krankschreiben lassen zu wollen. Am Tag danach kündigte sie und meldete sich unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krank. Diese wurde verlängert und von einem kurzen Erholungsurlaub unterbrochen. Anschließend befand sich die Arbeitnehmerin über den Rest der Kündigungsfrist in stationärer Krankenhausbehandlung.

Das LAG Köln hat der Mitarbeiterin recht gegeben. Grundsätzlich könne zwar die Ankündigung einer Krankschreibung und die Mitnahme persönlicher Gegenstände den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, nicht jede Ungereimtheit habe jedoch diese Folge. Dies gelte insbesondere bei einer bereits seit längerem bestehenden Grunderkrankung wie hier. Die plausible Darlegung der Erkrankung und der Umstände erschüttern den Beweiswert nach Auffassung des LAG Köln nicht. Eines darüberhinausgehenden Beweises bedurfte es in dem Verfahren nicht. Der Arbeitgeber wurde zur Entgeltfortzahlung verurteilt. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat diese Entscheidung jedoch nicht geändert.

Für die Praxis empfiehlt es sich daher, auf die Begleitumstände einer Arbeitsunfähigkeit zu achten. Arbeitnehmern kann im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nur geraten werden, sich nicht zeitgleich mit einer Eigenkündigung krankschreiben zu lassen, wenn dies nicht unbedingt notwendig ist.

Bremen im Februar 2024

Christiane Ordemann
Rechtsanwältin

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